Muss aus einem Recht eine Pflicht werden? #wirsindallefreigeboren

Susanne Mierau und Alu von Große Köpfe bringen seit einigen Monaten den tollen Podcast Mutterskuchen  heraus, in dem sie wichtige Themen rund um das Leben mit Kindern behandeln. Einen besonderen Nachhall hatte die letzte Folge zum Thema "UN-Kinderrechte". Im Podcast wurde im Gespräch mit den beiden Gästen vom Kinderbüro Frankfurt schnell klar, dass Kinderrechte viel mehr sind als Paragraphen. Die Umsetzung der Kinderrechte im Alltag sollte selbstverständlich sein und ist doch nicht immer einfach. Die Kinderrechte sprechen alle Themen an, die Kinder betreffen. Dabei geht es unter anderem natürlich auch um Bildung. Gestolpert bin ich über diesen Absatz der Kinderrechte:

(1)    Die Vertragsstaaten erkennen das Recht des Kindes auf Bildung an; um die Verwirklichung dieses Rechts auf der Grundlage der Chancengleichheit fortschreitend zu erreichen, werden sie insbesondere
a)    den Besuch der Grundschule für alle zur Pflicht und unentgeltlich machen; 

Das Recht auf Bildung ist unbestritten, aber warum wird hier aus dem Recht eine Pflicht? Nun die Erklärung wird ja im vorherigen Satz gleich mitgeliefert: es geht darum, dass möglichst alle Kinder erreicht werden und es wird wohl befürchtet, dass dies ohne Schulpflicht nicht möglich sei. Was aber ist mit denen, die ganz bewusst anders lernen wollen? In den meisten Ländern der Welt gibt es die Möglichkeit, dass Kinder auch außerhalb der Schule mit Homeschooling oder als Freilerner lernen (einen tollen Überblick über verschiedene Möglichkeiten des Lernens außerhalb der Schule gibt es hier) und es zeigt sich fast überall, dass hierbei die Motivation und Freude am Lernen viel länger anhält und dass meistens auch die Prüfungsergebnisse später (sollten sie überprüft werden) überragend sind. In Deutschland werden Eltern, die mit ihren Kindern diesen Weg gehen wollen, kriminalisiert und sind oft gezwungen auszuwandern. Dabei zeigen andere europäische Länder, wie unkompliziert man die Sache handhaben kann. So gibt es in Österreich oder auch Italien jährliche Prüfungen, die Homeschooler in Zusammenarbeit mit den örtlichen Schulen ablegen. Es wird also von staatlicher Seite geschaut, ob das Kind bestimmte Lernziele erreicht, die Methoden, wie es sich diese aneignet, sind jedoch völlig frei.

"You are your child's first teacher" John Holt

Mit diesem Satz habe ich mich lange beschäftigt. Unsere Kinder gingen und gehen in ganz normale Grundschulen und Gymnasien vor Ort, mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg, mal mit mehr, mal mit weniger Freude. Es gab Phasen, da war es schwierig, sie zuhause zu motivieren und zu begeistern, denn die Lehrer konnten es in manchen Fällen nicht. Für viele Eltern ist es normal, die Vermittlung von Wissen an LehrerInnen zu delegieren, aber sind wir nicht diejenigen, von denen unsere Kinder von klein auf am meisten lernen? Sollten Kinder nicht das Recht haben, selbst zu entscheiden wie sie lernen möchten?

Mit ist klar, dass dieses Thema sehr konträr diskutiert wird. Dennoch möchte ich dafür plädieren, dass auch in Deutschland nicht automatisch aus dem Recht eine Pflicht wird. #wirsindallefreigeboren sollte auch in diesem Bereich gelten.

Kommentare

Anonym hat gesagt…
Ganz deiner Meinung!
Wenn ich zu Italien etwas hinzufügen darf: Die jährlichen Prüfungen sind im Gegensatz zu Österreich nicht verpflichtend, sondern werden nur in dem Fall abgelegt, in dem das freilernende Kind im kommenden Schuljahr in die Schule einsteigen möchte (also Eignungsprüfung). Der staatliche Mittelschulabschluss (nach dem 8. Jahr, also ab 13-14 Jahren)kann als Privatist abgeschlossen werden, man kann den Abschluss natürlich auch erst später irgendwann machen, allerdings kommt man ohne diesen nicht sehr weit, da er Voraussetzung für den Besuch einer höheren Schule oder auch für einen Lehrlingsvertrag ist.
In Italien gibt es wirklich sehr viel, über das ich mich aufregen kann (Steuersystem, Bürokratie, Politik, Mafia usw.), aber wenn ich über eins froh bin dann darüber, dass in der Verfassung die Bildungs- (="Lernpflicht") und nicht die Schulpflicht (=Anwesenheitspflicht?!) verankert ist. Die Institution Schule darf nicht das Monopol über die Bildung haben. Nicht zufällig wurde Freilernen in Deutschland 1938 abgeschafft und danach nie wieder eingeführt. Ich drücke immer fest die Daumen, dass die Bemühungen dafür, diese Möglichkeit wie in den meisten anderen Staaten Europas, auch für Deutschland Realität wird.
Noch ein Fakt: In Italien sind es derzeit etwa 1000 Familien, die sich für Homeschooling entschieden haben, und die Zahl nimmt rasant zu (die Schule wird durch die Sparmaßnahmen und Reformen auch täglich schlechter, muss man zugeben); davon sind etwa 70 % der Eltern selbst LehrerInnen, ErzieherInnen oder im Bildungsbereich tätig. Wenn es um die eigenen Kinder geht...

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